Zu viele Projekte auf der Straße? Projektstau vorprogrammiert!

Wer kennt ihn nicht, den Chef, der alles sofort will: „Das muss ASAP fertig werden“ ASAP steht natürlich für „as soon as possible“ und ist die Aufforderung, sofort den Griffel fallen zu lassen und sich um das Thema zu kümmern, das der Chef gerade ganz oben auf den Stapel der Aufgaben befördert hat.

Projektbesprechung mit dem Management eines mittelständischen Automobilzulieferers: Man gibt sich kundenorientiert und Kunden lässt man nicht warten. Also starten wir sofort! Keine Garantie, dass man auch pünktlich fertig wird, aber wir haben zumindest nicht durch einen späteren Start Zeit verloren. Leider kann nur ein Team am Projekt arbeiten, das noch dabei ist, fünf bis sieben andere Projekte abzuschließen. Geistige Rüstzeit für jeden: Mindestens eine zusätzliche Stunde am Tag, Projektabstimmungen finden gleichzeitig statt und wollen alle bedient werden. Dienen Sie mal fünf bis sieben Projektleitern – wird schwierig und lässt sich nicht mehr steuern. Alltag? Ja, leider!

Wie passt das zusammen mit agilem und schlankem Projektmanagement?

Wir haben uns nach diesem Erlebnis gefragt, welche Auswirkungen hat eine ASAP-Mentalität auf eine reibungslose Projektabwicklung? Was passiert, wenn ein Unternehmen alle Projekte gleichzeitig auf die Straße setzt, ohne Priorisierung und ohne Berücksichtigung des zeitlichen Ablaufs? Wie kommen Projektleiter und Teammitglieder damit zurecht, in fünf und mehr Projekten gleichzeitig zu arbeiten?

Die zentrale Frage: Wie steuere ich ein Projektportfolio so, dass Projekte so effektiv und fokussiert wie möglich und in minimaler Durchlaufzeit fertig werden? Kann ALAP die Alternative sein?

Eine interessante Antwort: Das Experiment des Hafenmeisters

Ein Hafen hat 3 Anleger, 3 Hafenarbeiter brauchen 3 Tage, um die Ladung eines Schiffs zu löschen. 3 Schiffe liegen auf Reede und warten auf das Löschen ihrer Ladung. Der alte Hafenmeister galt als sehr kundenorientiert und lässt alle 3 Schiffe gleichzeitig anlegen. Das Entladen aller Schiffe gleichzeitig dauerte 3 Tage, so dass jedes der Schiffe erst nach 3 Tagen wieder in See stechen konnten.

Als der alte Hafenmeister in den wohlverdienten Ruhestand ging, übernahm ein junger Hafenmeister seinen Job. Es waren wieder 3 Schiffe auf Reede, aber der junge Hafenmeister überlegte sich, wie er die Liegezeit wenigstens für einige der Schiffe verkürzen kann und wie er mehr Schiffe in seinem Hafen abfertigen kann, ohne neue Liegeplätze zu bauen.

Die Lösung liegt auf der Hand: Der junge Hafenmeister holte sich nur jeweils ein Schiff in den Hafen und löschte das Schiff mit seinen 3 Hafenarbeitern in einem Tag, und nicht wie früher alle Schiffe gleichzeitig in 3 Tagen. Dadurch konnte das erste Schiff schon nach einem Tag wieder in See stechen, das zweite Schiff nach zwei Tagen und nur das dritte Schiff war 3 Tage im Hafen. Insgesamt betrug die Liegezeit aller Schiffe nun 6 und keine 9 Tage, das heißt, er hat die Kapazität seiner Liegeplätze um 30% erhöht. Zusätzlich hat er weniger Stress, denn er kann nun konzentriert das eine Schiff abfertigen, das im Hafen liegt.

Stau in der Projekt-Pipeline vermeiden!

Das Hafenmeister-Experiment zeigt es deutlich: Alle Projekte so früh wie möglich zu starten führt nicht zu den kürzesten Durchlaufzeiten. „Liegezeiten“ verhindern den schnellstmöglichen Projektabschluss. Projektleiter und Teammitglieder bearbeiten viele Projekte gleichzeitig. Geistige Rüstzeiten reduzieren die Effektivität und Fokus geht verloren.

Wir sehen in vielen Unternehmen der Autozulieferindustrie, dass Projekte sofort gestartet werden, sobald der Auftrag im Haus ist. Die notwendigen Kapazitäten werden häufig dort abgezogen, wo das Unternehmen glaubt, nicht fremdbestimmt zu sein: Beispielsweise in Innovationsprojekten. Das Unternehmen schwächt seine Zukunftsfähigkeit.

Zu viele Projekte gleichzeitig auf der Straße zu haben führt bei der ersten Baustelle zum Verkehrsstau. Die Pipeline versiegt und kann nur mit massivem Ressourceneinsatz in Gang gehalten werden. Es liegt fast immer an der ASAP-Mentalität.

Sechs klare Gedanken, wie Projekt-Portfolios effektiver zu steuern sind:

1. “So spät wie möglich” ist lean

So wenige Projekte gleichzeitig wie möglich, das Portfolio bleibt übersichtlich. Den Aufwand der Portfolio-Steuerung durch das Management so klein wie möglich halten, geistige Rüstzeit vermeiden und gleichzeitig den Fokus der Teams auf die laufenden Projekte richten – all das ist Umsetzung schlanker Prinzipien im Projektmanagement. Das Prinzip des „one piece flow“ aus der schlanken Produktion lässt sich so auch auf das Projektmanagement übertragen.

2. Das Projektrisiko im Blick

Natürlich lässt sich der spätestmögliche Start eines Projektes nur dann beim Management und Kunden durchsetzen, wenn das Vertrauen da ist, dass in der verbleibenden Zeit das Projekt zum erfolgreichen Abschluss kommt. Ein Fokus auf Risikotransparenz, Risikovermeidung und dem offenen Umgang mit Projektrisiken hilft, dieses Vertrauen zu schaffen. Erfahrene Projektleiter steuern das Projektrisiko, indem Sie sich einen Kosten- und Zeitpuffer schaffen und indem Sie für technische Risiken Rückfall-Lösungen bereithalten.

3. Timeboxing erhöht die Planungssicherheit

Timeboxing ist ein Prinzip aus der agilen Entwicklung. Es besagt, dass nicht die Zeit die Variable im Projektablauf ist, sondern die Leistungserbringung. Es ist wie in der Klausur: Ist die Zeit um, wird abgegeben. Manche können sich schwer vorstellen, dass Timeboxing im Projekt funktioniert, schließlich macht doch ein halbfertiges Produkt keinen Sinn.

Timeboxing lässt sich trotzdem sehr gut einsetzen, da es eine enge Projektverfolgung erlaubt. Nach jeder Timebox muss das Team zeigen, was es geschafft hat. Verzüge in der Leistungserbringung werden sofort transparent und es kann frühzeitig gegengesteuert werden.

4. Zeit ist eine knappe Ressource

Cyril N. Parkinson hat es auf den Punkt gebracht: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht“. Ein Projektplan muss das berücksichtigen, soll die Projektdurchlaufzeit minimal sein. Das daraus folgende Planungsprinzip sieht enge Zeitfenster für die Erledigung der Arbeitspakete vor, also eine Verknappung der Ressource „Zeit“. Um trotzdem auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können, ist ein Zeitpuffer vorgesehen, den allerdings nur der Projektleiter Stück für Stück freigeben kann.

5. Feste Teams setzen die Prioritäten selbst

Selbstorganisierte und selbstgeführte Teams können am besten selbst entscheiden, welche Leistung sie in welcher Zeit erbringen können. Also ideal für einen ALAP-Ansatz, bei dem die Setzung der Prioritäten entscheidend ist. Versuchen Sie es doch einmal mit einem Marktplatz, auf dem sich die Teams die Projekte nehmen, die zu ihren Kompetenzen passen und die sie zeitlich schaffen. Zu revolutionär? Es gibt Unternehmen, die so bereits erfolgreich arbeiten.

6. Führungskräfte: Lasst los!

Ich habe es häufig erlebt: Die ASAP-Mentalität schafft mehr Verwirrung im Arbeitsablauf, als dass sie hilft, die Prioritäten im Multiprojektmanagement zu sortieren. Warum vertrauen wir also nicht unseren Projektteams, die Prioritäten und die Reihenfolge der Aufgaben im Projekt selbst zu bestimmen. Die Aufgabe der Führungskraft ist es vielmehr, Ziele zu definieren und dann aus dem Weg zu gehen. Lassen Sie aber keinen Zweifel daran, dass Ziele konsequent zu erreichen sind.

Der Appell geht an die Führungskräfte:

Haben Sie Vertrauen in ihre Teams. Nicht die Art der Durchführung ist entscheidend, sondern die Erreichung des Ergebnisses.Haben Sie den Mut loszulassen. Überlassen Sie Ihren Teams das „Wie“. Kümmern Sie sich als Führungskraft um das „Warum“ und das „Was“

Gebt der ASAP-Mentalität keinen Raum!

Wer die folgenden Fragen ehrlich beantwortet, kommt der ASAP-Mentalität im eigenen Unternehmen auf die Spur:

  • Sind neue Produkt- und Prozesstechnologien vor Start der Serienentwicklung ausreichend abgesichert?
  • Existieren eine Risikobetrachtung und ggf. ein Rückfallplan auf erprobte Technologien?
  • Werden die Anforderungen an das Produkt systematisch ermittelt?
  • Werden technische Änderungen während der Projektlaufzeit oder in der späteren Serie systematisch bewertet?
  • Ist der Projektstatus stets aktuell und dem Management bekannt?
  • Erlaubt der Stage-Gate Prozess eine effektive und enge Steuerung des Projekts?
  • Werden Meilensteine konsequent und zeitgerecht freigegeben?
  • Werden Projektrisiken frühzeitig erkannt, Maßnahmen zur Risikominimierung oder bei Abweichungen im Projekt ergriffen und zeitnah und systematisch an das Management eskaliert?
  • Sind die Ressourcenverfügbarkeit und die Auslastung der Teams ein Kriterium zur Aufnahme oder Ablehnung von Projekten ins Portfolio?

Immer mehr Unternehmen versuchen, der Spirale der ASAP-Mentalität zu entfliehen. Sie erkennen, dass mit zunehmender Komplexität die Projekte mit den herkömmlichen Methoden nicht zu beherrschen sind.

Projekte so spät wie möglich zu starten, hat viele Vorteile. Es erfordert allerdings eine verlässliche Planung, einen immer transparenten Projektstatus, einen offenen Umgang mit Projektrisiken und ein konsequentes Handeln aller am Projekt Beteiligten.